* Es handelt sich um ein Phänomen, ist also ein abgegrenzter und zugleich konkret erlebter Welt-Ausschnitt und
* es ist ein Phänomen, das sich uns aufdrängt (was etwas anderes ist, als wenn es uns aufgedrängt würde!), zu dem wir also eine spannungsgeladene Beziehung haben.
„Wasser“ kann also kein Thema sein, wohl aber „wo kommt das Wasser eigentlich her?“ oder „was passiert mit dem Wasser, wenn Wäsche trocknet?“ oder „Wassernot in der Sahel-Zone“ oder „wieso schmecken Wässer unterschiedlich?“ oder „wie kann man verunreinigtes Wasser reinigen?“ oder „wie man mit dem Lebensmittel Wasser ökologisch verantwortbar umgehen kann“.
„Indianer“, „Feuer“, „Hessen“, „Gott“, „der Mensch“, „Sexualität“, „Verkehrsregeln“ - alles keine Themen im didaktischen Sinne, sondern eher Stichwörter einer Enzyklopädie. Wer eine Unterrichtseinheit so benennt, könnte ebenso gut sagen „alles über Indianer“, „rund ums Feuer“, „was gibt's Wissenswertes in Hessen?“, „theologische Betrachtungen“, „anthropologischer Rundblick“, „was wir schon immer über die Sexualität wissen wollten“, „was steht in der Straßenverkehrsordnung?“.
Ich habe den Verdacht, dass sich derartig aufgeblähte Themenangaben in dem Maße häufen, in dem immer mehr Lehrer - unter verschiedenen Fahnen1 - ihren Unterricht zu Materialschlachtfeldern machen: Wir machen was über - sagen wir mal: über die Sinne, und schwupp! liegen alle möglichen Erfahrungsmittel, Anleitungskarten, Arbeitsblätter, Bücher und Spiele auf dem Materialtisch, die die Schüler nun in selbständiger Einzel- oder Partnerarbeit bearbeiten. Statt thematischer Dichte und intensiver Arbeit kommen da oft nur eine Reihung punktueller Aspekte und extensiver Aktionismus auf. Lehrprobleme hin, selbständiges Arbeiten her - eine Veranstaltung, in der niemand ein Thema im pädagogischen Sinne ausmachen kann, in der Schüler an einer Vielzahl von Themenangeboten schnüffeln und sich hedonistisch die animierenden Rosinen herauspicken, sollte nicht Unterricht genannt werden. Schule muss gegen den Trend der Zeit arbeiten, nach dem nichts gründlich durchgearbeitet und nichts zu Ende ausgearbeitet, sondern geschäftig von dieser Nektarquelle zu jener geflattert (oder „gesurft“) wird.
Die „Einflüsse der modernen ‚Erlebnisgesellschaft‘“ („Leben, um zu erleben“, Gerhard Schulz in „Die Erlebnisgesellschaft“, Frankfurt am Main) „haben mit dem geänderten Verhalten“ der jungen Generation „ihr Auffassungsvermögen, ihre Denk- und Wahrnehmungsprozesse verändert. Kaum noch können sie die Frage danach beantworten, was sie wollen. Sie haben sich darauf eingestellt, Angebote einzuholen, um sagen zu können, was sie nicht wollen. Ihr Wunsch, etwas zu erleben, ist damit auch geprägt von fehlender Eigenaktivität, gerät oftmals zum bloßen Konsumverhalten. Die Reizüberflutung, die von der vorhergehenden Generation für sie geschaffen wurde, bietet ihnen pausenlos an auszuwählen, mitzumachen, sprunghaft zu sein. Sie sind wenig trainiert in kognitiver Abstraktion, Konzentration und Ausdauer, gewöhnt [...] an analoge, gestalthafte und ganzheitliche Wahrnehmungen.“1 So werden [...] die logisch-analytischen Lernanforderungen der in dieser Weise geschulten Lehrenden im Grunde dysfunktional. Ganzheitlichere Konzepte schulischen Lernens sind allerdings nicht nur moderner Reflex auf veränderte Lern- und Sozialisationsbedingungen.In der Überzeugung von der grundlegenden Einheit des Denkens, Lernens und Handelns haben sie“ von Pestalozzi über Kerschensteiner „bis Freinet und von Hentig pädagogische Tradition“.
Gegen flickenteppichähnliches Lernen hat sich schon Johann Gottfried Herder gewandt:„Vielwisserei“ und „Vieltuerei sind nichts anderes als das Gewand einer buntflickigen Scheinbildung, die nicht durch Eigenes getragen wird, mit Eigenem nicht innig verquickt ist und in ihrer unverbindlich schnüffelnden Betriebsamkeit und in ihrer Selbstgenügsamkeit das Selbst-Sein preisgibt. „Kindisch ist's, sich mit fremden Flicken und Lappen auszuschmücken, wenn man ein eigenes ganzes Kleid, das unserem Körper gerecht ist, sich selbst schaffen kann und soll“.3