Vertretungsunterricht in einer 3. Klasse im Fach Mathematik. Verfahren der Addition zweistelliger Zahlen sollen operativ durchgearbeitet oder (@) entwickelt werden:
28+34 = (20 + 8) + (30 + 4) = (20 + 30) + (8 + 4) = 50 + (10 + 2) = (50 + 10) + 2 = 60 + 2 = 62;
28+34 = (28 + 2) + (34 - 2) = 30 + 32 = 62;
28+34 = [(28 + 2) + 34] - 2 = (30 + 34) - 2 = 62;
28+34 = 28 + (30 + 4) = (28 + 30) + 4 = 58 + 4 = 60 + 2 =62;
...
Falls Überlegungen von Schülern mindestens
andeutungsweise in diese Richtung gehen:
@ 28 + 34 = 2 · m(28,34) = 2 · 31 =62; m(a, b) = (a+b):2 [= min(a, b)+|a-b|:2 = max(a, b)-|a-b|:2];
@ 28 + 34 = 2 · 28 + |28 - 34| = 56 + 6 =62 a+b = 2 · min(a, b) + |a-b|;
@ 28 + 34 = 2 · 34 - |28 - 34| = 68 - 6 =62 a+b = 2 · max(a, b) - |a-b|.
Die Verständigung über die Verfahren, die die Kinder
beim Berechnen derartiger Summen angewandt haben, klappt
zunächst gar nicht, und zwar weder zwischen
(Vertretungs-)Lehrer und Schülern noch zwischen den
Schülern untereinander. Für diese Schüler war es
offensichtlich völlig neu, dass man über seine
rechnerischen Gedankengänge berichtet und verschiedene
Rechenwege unter dem Gesichtspunkt der Ökonomie beurteilt. Sie
waren auf das Ergebnis und seine Bewertung fixiert. (Hier zeigte
sich offenbar verheerend die Wirkung eines rein
produktorientierten, individualistisch konzipierten, an
einsichtorientierter Kommunikation armen Wochenplanbetriebes.) Also
half der (Vertretungs-)Lehrer mit einigen visualisierenden
Techniken nach, auf dass eine gemeinsame Analyse des einen und
anderen Rechenweges gelingen könne. Dabei stellte sich heraus,
dass fast alle Kinder darauf festgelegt waren, das schriftliche
Additionsverfahren unsichtbar im Kopf anzuwenden: Sie addierten bei
28+34 zunächst 8+4=12, also „2“ als Endziffer der
gesuchten Summe merken und „1“ auf die Summe 2+3
aufaddieren, also „6“ als Anfangsziffer der gesuchten
Summe, also als Ergebnis „6 2“ (zunächst gedacht
als „sechs zwei“, dann neu „gelesen“ als
„zwei-undsechzig“). Dass etwa ein Drittel der
Klasse zu keinem und etwa ein Viertel der Klasse zu einem falschen
Ergebnis gekommen war, konnte sich der (Vertretungs-) Lehrer nun
erklären: Die meisten Kinder waren überfordert, ein
Verfahren, dessen Nutzen gerade in der Notierung des Rechenweges
liegt und somit das Gehirn von Gedächtnisanforderung
freihält, ohne die gedächtnisentlastende Notierung
anzuwenden.
Bei der Analyse des Rechenverfahrens, das bevorzugt angewandt worden war, fiel dem (Vertretungs-)Lehrer auf, dass die Schüler davon sprachen, sie hätten „den Vierer und den Achter plusgenommen“, und das gebe ja einen Zwölfer; und dann müsse man „noch den Zweier und den Dreier plusnehmen und den Einser von dem Zwölfer dazutun“. Jetzt verstand der (Vertretungs-) Lehrer endlich, warum die Kinder nichts mit seiner Frage hatten anfangen können, wer denn beim Berechnen der Summe mit den Zehnern begonnen habe. Nochmals gefragt, um die Zahlinformation, die in den Zeichen „28“ und „34“ dekadisch kodiert ist, herauszustellen und dem Rechnen und der Verständigung über den Rechenweg zugänglich zu machen:
„Wie viele Einer hat die Zahl achtundzwanzig?“
Jemand sagt: „Gar keine.“
Ein anderer: „Achtundzwanzig.“
Ein dritter: „Achtundzwanzig sind vierzehn Zweier. Oder vier Siebener.“
„Und wie viele Zehner hat die Zahl achtundzwanzig?“
Allgemeines Schweigen.
„Wie viele Einer hat denn die Zahl achtzehn?“
„Einen Einer.“
„Achtzehn hat vorn einen Einer und hinten einen Achter.“
Diese Kommunikation war gestört, weil man über
verschiedene Gegenstände sprach, sie aber mit denselben
Bezeichnungen etikettierte:
Schülern, die das Stellenwertprinzip zwar erlernt haben, dies aber ohne Einsicht in das operative Bauprinzip der Zahldarstellung, bleibt in der Tat kein anderer Rechenweg als der (mechanisch angewandte, das heißt unerklärlich gegangene) Weg des „schriftlichen Rechnens im Kopf“ übrig, wenn Summen wie 28+34 zu berechnen sind.
Empfehlung: Im konkreten Kontext, wenn es also um Zahl- oder Größeneigenschaften von Mengen geht, immer Zahlen als Stückgrößen verwenden („zeig mir die drei Kreise“ statt „zeig mir die drei“), damit Schüler sich nicht - wie geschehen - miss- oder unverständlich ausdrücken („die Drei auf der Pappe ist im Spiegel noch einmal da“).