Mathematikdidaktisches Seminar

Gerhart Dieter Greiß, Ausbildungsleiter am Studienseminar Korbach


Kauderwelsch als Behinderung des Mathematiklernens

1.  „Achtzehn hat vorn einen Einer und hinten einen Achter.“

Vertretungsunterricht in einer 3. Klasse im Fach Mathematik. Verfahren der Addition zweistelliger Zahlen sollen operativ durchgearbeitet oder (@) entwickelt werden:

28+34 = (20 + 8) + (30 + 4) = (20 + 30) + (8 + 4) = 50 + (10 + 2) = (50 + 10) + 2 = 60 + 2 = 62;

28+34 = (28 + 2) + (34 - 2) = 30 + 32 = 62;

28+34 = [(28 + 2) + 34] - 2 = (30 + 34) - 2 = 62;

28+34 = 28 + (30 + 4) = (28 + 30) + 4 = 58 + 4 = 60 + 2 =62;

...

 
Falls Überlegungen von Schülern mindestens andeutungsweise in diese Richtung gehen:

@ 28 + 34 = 2 · m(28,34) = 2 · 31 =62;     m(a, b) = (a+b):2 [= min(a, b)+|a-b|:2 = max(a, b)-|a-b|:2];

@ 28 + 34 = 2 · 28 + |28 - 34| = 56 + 6 =62    a+b = 2 · min(a, b) + |a-b|;

@ 28 + 34 = 2 · 34 - |28 - 34| = 68 - 6 =62    a+b = 2 · max(a, b) - |a-b|.

 
Die Verständigung über die Verfahren, die die Kinder beim Berechnen derartiger Summen angewandt haben, klappt zunächst gar nicht, und zwar weder zwischen (Vertretungs-)Lehrer und Schülern noch zwischen den Schülern untereinander. Für diese Schüler war es offensichtlich völlig neu, dass man über seine rechnerischen Gedankengänge berichtet und verschiedene Rechenwege unter dem Gesichtspunkt der Ökonomie beurteilt. Sie waren auf das Ergebnis und seine Bewertung fixiert. (Hier zeigte sich offenbar verheerend die Wirkung eines rein produkt­orientierten, individualistisch konzipierten, an einsichtorientierter Kommunikation armen Wochenplanbetriebes.) Also half der (Vertretungs-)Lehrer mit einigen visualisierenden Techniken nach, auf dass eine gemeinsame Analyse des einen und anderen Rechenweges gelingen könne. Dabei stellte sich heraus, dass fast alle Kinder darauf festgelegt waren, das schriftliche Additionsverfahren unsichtbar im Kopf anzuwenden: Sie addierten bei 28+34 zunächst 8+4=12, also „2“ als Endziffer der gesuchten Summe merken und „1“ auf die Summe 2+3 aufaddieren, also „6“ als Anfangsziffer der gesuchten Summe, also als Ergebnis „6 2“ (zunächst gedacht als „sechs zwei“, dann neu „gelesen“ als „zwei-und­sechzig“). Dass etwa ein Drittel der Klasse zu keinem und etwa ein Viertel der Klasse zu einem falschen Ergebnis gekommen war, konnte sich der (Vertretungs-) Lehrer nun erklären: Die meisten Kinder waren überfordert, ein Verfahren, dessen Nutzen gerade in der Notierung des Rechenweges liegt und somit das Gehirn von Gedächtnisanforderung freihält, ohne die gedächtnisentlastende Notierung anzuwenden.

Bei der Analyse des Rechenverfahrens, das bevorzugt angewandt worden war, fiel dem (Vertretungs-)Lehrer auf, dass die Schüler davon sprachen, sie hätten „den Vierer und den Achter plusgenommen“, und das gebe ja einen Zwölfer; und dann müsse man „noch den Zweier und den Dreier plusnehmen und den Einser von dem Zwölfer dazutun“. Jetzt verstand der (Vertretungs-) Lehrer endlich, warum die Kinder nichts mit seiner Frage hatten anfangen können, wer denn beim Berechnen der Summe mit den Zehnern begonnen habe. Nochmals gefragt, um die Zahlinformation, die in den Zeichen „28“ und „34“ dekadisch kodiert ist, herauszustellen und dem Rechnen und der Verständigung über den Rechenweg zugänglich zu machen:

„Wie viele Einer hat die Zahl achtundzwanzig?“

Jemand sagt: „Gar keine.“

Ein anderer: „Achtundzwanzig.“

Ein dritter: „Achtundzwanzig sind vierzehn Zweier. Oder vier Siebener.“

„Und wie viele Zehner hat die Zahl achtundzwanzig?“

Allgemeines Schweigen.

„Wie viele Einer hat denn die Zahl achtzehn?“

„Einen Einer.“

„Achtzehn hat vorn einen Einer und hinten einen Achter.“

 
Diese Kommunikation war gestört, weil man über verschiedene Gegenstände sprach, sie aber mit denselben Bezeichnungen etikettierte:

Schülern, die das Stellenwertprinzip zwar erlernt haben, dies aber ohne Einsicht in das operative Bauprinzip der Zahldarstellung, bleibt in der Tat kein anderer Rechenweg als der (mechanisch angewandte, das heißt unerklärlich gegangene) Weg des „schriftlichen Rechnens im Kopf“ übrig, wenn Summen wie 28+34 zu berechnen sind.

2. Interferente Begriffe:

Empfehlung: Im konkreten Kontext, wenn es also um Zahl- oder Größeneigenschaften von Mengen geht, immer Zahlen als Stückgrößen verwenden („zeig mir die drei Kreise“ statt „zeig mir die drei“), damit Schüler sich nicht - wie geschehen - miss- oder unverständlich ausdrücken („die Drei auf der Pappe ist im Spiegel noch einmal da“).

3. Finden Sie im schulischen Alltag selbst Beispiele für Kauderwelsch als Behinderung des Mathematiklernens