1. Sachaufgabenbewältigung ist das eigentliche Ziel des Mathematikunterrichts. [1]
2. Um aber Sachaufgaben bewältigen zu können, sind spezifische mathematische Fähigkeiten erforderlich.
3. Diese Fähigkeiten beruhen im sachadäquaten Mathematisieren und im Zugriff auf spezifisch mathematische Techniken der Problemverarbeitung.
4. Dennoch soll die Reihenfolge nicht lauten „erst Techniken, dann Anwendung", sondern die Techniken sollen aus der exemplarischen Anwendung heraus entwickelt werden.
Was ist eine Aufgabe? Was ist ein Problem? Was ist eine Lösung?
Gibt es Algorithmen für das Problemlösen? Was ist ein Algorithmus?
Ein Problem an sich gibt es nicht. Ein Problem ist mir ein Sachverhalt nur insofern, als ich ihn durchschauen will, aber noch nicht durchschaue. Für andere kann dieser Sachverhalt völlig problemlos sein: weil sie ihm gar nicht begegnen oder weil sie ihm interesselos gegenüberstehen oder weil sie ihn bereits durchschauen. „Problem" ist ein subjektives Phänomen; seine Parameter sind: Begegnung, Einsichtsmangel und Einsichtsinteresse.
Wozu problemorientierter Unterricht?
Drei Gründe, die sich aus den intendierten
Transfer-Erwartungen herleiten lassen:
a) Motivationaler Grund zum Erwerb neuer mathematischer Einsichten
und Qualifikationen (Aufbau von Begriffen und Operationen;
Transfer-Erwartung: Anwendung dieser Begriffe und Operationen in
analogen Sachzusammenhängen);
b) Verankerung erworbener mathematischer Qualifikationen in der
Gesamt-Verhaltensdisposition (Auslotung des Bedeutungsumfangs der
aufgebauten Begriffe und Operationen; Transfer-Erwartung:
Verfügung über diese Begriffe und Operationen in
entsprechenden Sachsituationen);
c) Erlernen von Strategien für das Problemlösen selbst
(Entwicklung heuristischer Einstellungen; Transfer-Erwartung:
Erkennen von Problemarten und Verfügen über
Orientierungsschemata).
Nicht nur die Befähigung zum Bearbeiten und Lösen von
Problemen ist intendiert, sondern auch zum Aufmerksamwerden auf
Probleme.
Merkmale eines problemorientierten Unterrichts:
a) Kriterien der Thematisierung;
b) Unterrichtsverfahren (didaktische Strategien wie Probierphasen
und „Ruhe"-Phasen);
c) Unterrichtsform;
d) Interaktionsweisen (Lehrer/Schüler;
Schüler/Schüler).
Aufgaben aus dem Mathematikbuch?
Unterschied zwischen aufgabendidaktischem und produktivem
Unterricht
Aufgabenklassen;
heuristische Strategien erlernen
gleichartige Verfahren (Muster);
Anwendung in didaktisch arrangierten Situationen
Was sind heuristische Strategien? Wie können Schüler diese Strategien erlernen (methodische Feinstruktur)?
Beispiel: Wieso sind alle sechsstelligen Zahlen mit dem Bauplan ABCABC durch 13 teilbar? (Konflikt-, Ziel-, Materialanalyse)
„Es ist schrittweise möglich, lernbereite und geistig
normal entwickelte Schüler auch zu Ansätzen eines
Problemlösens mit dem behandelten Arsenal an mathematischen
Mitteln zu befähigen,
- wenn die Schüler mit Problemsituationen konfrontiert werden,
aus denen heraus erst konkrete (und nicht unbedingt schwierige)
mathematische Aufgaben abgeleitet werden müssen [...],
- wenn sie neuen Stoff so bewußt lernen, dass sie in der Lage
sind, sich selbst Kontroll- und Beispielaufgaben zu stellen
[...],
- wenn zielstrebig Teilhandlungen des Problemlösens anhand
geeigneter Aufgaben ausgebildet und trainiert werden [...],
- wenn eine gewisse Kompensation von hoher Vergessensquote und
unterschiedlichem Festigungsbedarf bei den Schülern durch
systematische Wiederholungen und Übungen von elementaren
Grundlagen erfolgt, z.B. in differenzierten Aufgabenfolgen [...];
dabei sollten neben den Aufgaben in Standardform auch die
jeweiligen Umkehraufgaben gleichermaßen berücksichtigt
werden, um die Reversibilität des Denkens zu schulen
[...],
- wenn mathematische Begriffe, Zusammenhänge und Verfahren und
typische Anwendungen unter verschiedenen Blickwinkeln
systematisiert werden [...],
- wenn in Übungs- und Problemlösephasen für die
Schüler Wahlmöglichkeiten bestehen, die ihren
unterschiedlichen Leistungsvoraussetzungen und Anspruchsniveaus
differenziert Rechnung tragen - z.B. durch Auswahlaufgaben mit
unterschiedlichen Anforderungen [...]; durch Stellen komplexer
Aufgaben mit individuell abrufbaren Lösungshilfen
[...],
- wenn bestimmte Methoden und Techniken des Problemlösens
explizit vermittelt werden, um ggf. mangelnde geistige
Beweglichkeit beim Umgang mit bestimmten mathematischen Mitteln
teilweise zu kompensieren - heuristische Schulung.“ [1]
"A problem well stated is a problem half solved." Charles
Kettering, 1876-1958
Arten von Problemen als Gegenständen des MU:
a) Sachproblem (Mathematisierungsproblem);
b) Aufbauproblem (Transponierungsproblem);
c) Beweisproblem.
Zu a) Gesucht ist zunächst die Relation zwischen den
Unbekannten und den Daten. Dazu müssen oft fehlende Daten
erkundet werden. Dann stellt sich die Frage nach dem geeigneten
Lösungsgang für diese Relation.
Beispiele:
a ) Geplant ist ein Klassenausflug zum
Brühler Fantasialand. Die Fahrtkosten sollen so niedrig wie
möglich sein; welche Ausflugskosten kommen auf den einzelnen
Teilnehmer zu?
b ) „Ist die Form des Quaders
für Milch- und Saftverpackungen tatsächlich die
günstigste im Hinblick auf den Verbrauch an
Verpackungsmaterial?“ [2]
Zu b) Gesucht sind die vermittelnden Begriffe / Operationen /
Verfahren.
Bisher erlernte Begriffe / Operationen / Verfahren sind nur nach
Erweiterung /Differenzierung / Übertragung anwendbar.
Beispiele:
a ) Wie kann man den Zinssatz
für eine bestimmte feste Spareinlage berechnen, wenn man die
Zinsen für den Zeitraum vom 2.4. bis zum 19.8. eines Jahres
kennt? (8. Klasse)
b ) „Kann man eine Korkkugel von
einem Meter Durchmesser tragen? (Einstieg zur Behandlung des
Kugelvolumens)“ [3]
g ) L fordert S auf, sich eine beliebige
natürliche Zahl zu denken, zur gedachten Zahl 5 zu addieren,
die Summe mit 18 zu multiplizieren, davon das Dreifache der
gewählten Zahl zu subtrahieren, das Ergebnis durch 15 zu
dividieren und vom Resultat die eingangs gewählte Zahl zu
subtrahieren. Ohne dass S etwas sagt, kann L jetzt das Endergebnis
der Rechnung verkünden. [4]
d ) „Geburtsdatum erraten: die
Tageszahl des eigenen Geburtsdatums verdoppeln, 5 addieren, mit 50
multiplizieren, die Monatszahl addieren. Lösung: Vom
erhaltenen Ergebnis muss der Versuchsleiter [...] 250
subtrahieren.“ [5]
Externe Bedingungen für die Entfaltung der
Problemlösefähigkeit (pressionsfreie Atmosphäre,
...).
„These: Problemlösen kann in einem freudbetonten,
binnendifferenzierenden und Methoden und Techniken des Lernens
thematisierenden Unterricht schrittweise gelernt werden. Wichtig:
Nicht nur Aufgaben lösen, sondern auch über Aufgaben
sprechen!“
[6]
„Ein Mathematikunterricht, in dem Schüler
Problemlösen lernen,
- bemüht sich um eine vertrauensvolle, freudbetonte und auf
Erkenntnisinteresse beruhende Lern-
und Arbeitsatmosphäre,
- bemüht sich um entwicklungsgemäße und
entwicklungsfördernde Leistungsanforderungen,
- stellt nicht nur Forderungen an die Schüler, sondern
vermittelt auch fachspezifische und allgemeine Methoden und
Techniken des Lösens von Problemen mit mathematischen
Mitteln,
- unterstützt das Ausbilden von Teilhandlungen des
Problemlösens mit geeigneten Aufgabenstellungen.“ [7]
Zur Entfaltung der Problemlösefähigkeit ist vor allem eine didaktisch-psychologisch motivierte und wohlstrukturierte Bearbeitung von Sachaufgaben geeignet, aber auch von innermathematischen Zusammenhängen (Strukturerkenntnis).
Interne Bedingungen für die Entfaltung der
Problemlösefähigkeit.
„Problemlösen als geistige Tätigkeit ist wie jede
andere auch gekennzeichnet
- durch bestimmte Antriebe (Anreize, Motive, Einstellungen) -
insbesondere Erkenntnisinteresse und Beharrlichkeit,
- durch (fachspezifische) Inhalte (insbesondere mathematische
Begriffe, Sätze und Verfahren zur Problemlösung) bzw.
bestimmte Handlungsobjekte (Sachsituationen, zu beweisende
Behauptung usw.) und
- Verlaufseigenschaften wie geistige Beweglichkeit, Ziel- und
Methodenbewußtheit, Exaktheit u. ä.“ [8]
Welche grundsätzlichen Hinweise erhalten wir aus der
Gestaltpsychologie?
Die unterschiedlichen Funktionen des konvergenten und des
divergenten Denkens. Bei der Problembearbeitung ist Divergenz
gefordert; hinsichtlich des sachlich richtigen Ziels ist Konvergenz
nötig. Antriebe zum Problemlösen mit mathematischen
Mitteln können sich leichter entwickeln,
- wenn man sich als Schüler im Unterricht auch einmal irren
darf, wenn Zeit zum Nachdenken eingeräumt wird und
Schmierzettel zum Probieren legitim sind,
- wenn die Schüler wissen und einsehen, was im Unterricht
warum und wie gemacht wird, z.B. durch langfristige Motivationen
und Einbeziehung der Schüler in die Teilzielplanung des
Unterrichts,
- wenn Klarheit über Leistungsanforderungen und
Leistungsbewertung besteht, wenn die Schüler lernen, eigene
Stärken und Schwächen zu erkennen und wenn sie Angebote
zur Überwindung von Schwächen und zur Förderung von
Stärken erhalten,
- wenn die Aufgabenstellungen verständlich [...] formuliert
sind und eine gewisse Beziehung zum Lebens- und Erfahrungsbereich
der Schüler besitzen,
- wenn Lernerfolge sichtbar werden.“ [9]