Gerhart Dieter Greiß
Ausbildungsleiter am Studienseminar für die Lehrämter in Korbach

Multiplikation im 2. Schuljahr

[Vorläufige Fassung einer Transkription meines SIGNUM!4-Dokuments in ein WinWord-Dokument. Einige Sonderzeichen sind noch nicht transkribiert.]

0. Vorfragen

Was ist „Multiplizieren“?
Multiplizieren Sie 5 mit 7!1
Was ist „Rechnen“?
Müssen Sie rechnen, wenn Sie den Wert des Produkts 5·7 angeben sollen? Wenn ja, dann geben Sie Ihren Rechenweg an!
Müssen Sie rechnen, wenn Sie den Wert des Produkts 15·17 angeben sollen?
Was ist eine „Aufgabe“?
Die Aufgabe, Geschirr zu spülen, bedeutet, benutztes Geschirr in einen gereinigten Zustand zu überführen. Die Aufgabe, eine Pädagogische Prüfungsarbeit zu schreiben, bedeutet, zu einem pädagogischen Thema eine schriftliche Ausarbeitung anzufertigen, das heißt, das Nichtvorhandensein eines eigenen Textes zu diesem Thema in ein Vorhandensein zu überführen. Was bedeutet nun aber „Aufgabe“ im Bereich der (elementaren) Arithmetik?
Was können wir mathematisch unter dem Jargonwort „Malaufgabe“ verstehen?
Was ist (das/ein) „Einmaleins“?2
Was ist im mathematischen Sinne eine „Reihe“?3
Was ist eine „Einmaleinsreihe“?
Was ist eine „Einmaleinsaufgabe“?
Was sind „Einmaleinssätze“?
Was heißt das: „eine Einmaleinsreihe aufbauen“?
Ist der Aufbau der Fähigkeit zu multiplizieren identisch mit dem Erwerb von Einmaleinskenntnissen?

Welches Prinzip soll mathematikdidaktisch gelten:
a) Erst Fertigkeit (Beherrschen von Einmaleinssätzen); dann operative Durcharbeitung der erworbenen Kenntnisse (mit welchem Ziel?)?
b) Oder erst Einsichten in die Arithmetik der Multiplikation (Beziehung zur Addition, Kommutativität, Assoziativität, Distributivität, Ausgleichsregeln, Beziehung zur Division) als Grundlage systembildender Beziehungen zwischen Produkten und zwischen multiplikativen Gleichungen; dann Fertigkeitserwerb?4

1. Zur Entwicklung des Verständnisses der Multiplikation5

Beispielaufgabe: Nachdem anhand eines Bildes Sprünge der Länge 2 und der Länge 3 an einem anschaulich gestalteten „Zahlenstrahl“ gezeigt worden sind, soll das Kind ermitteln, bis wohin man mit 4 Sprüngen der Länge 5 kommt („5 auf einmal“).

Bei den Kindern wird die Anwendung folgender Lösungsstrategien beobachtet:
* Direktes Modellieren der Aufgabe mit Material, vollständiges Auszählen aller Elemente (1, 2, 3, 4, ..., 19, 20);
* ebenfalls direktes Modellieren der Aufgabe mit Material, aber rhythmisches Zählen in Gruppen (1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, ..., 19, 20);
* rhythmisches Zählen in Gruppen (1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, ..., 19, 20) (ohne direktes Modellieren der Aufgabe mit Material);
* Benutzung von (additiven) Zahlenfolgen (51, 120 , 135, 240) unter Verwendung eines Modells;
* Benutzung von (additiven) Zahlenfolgen (51, 120 ,135, 240) ohne Verwendung eines Modells;
* direkt im Modell durchgeführte Umstrukturierung der Aufgabe (immer zwei Fünfersprünge werden zu einem Zehnersprung zusammengefasst, dann hat man statt 4 Fünfersprüngen halb so viele Zehnersprünge: 4·5=2·10=20);
* Umstrukturierung der Aufgabe in der Vorstellung (statt 4 Fünfersprüngen sind es halb so viele Zehnersprünge: 4·5=2·10=20);
* Benutzung der entsprechenden Einsmaleinssätze (4·5=20).
Für das Multiplikationsverständnis ist es unerlässlich, dass der Speicherung von multiplikativen Gleichungen eine operative Durcharbeitung des zu speichernden Materials vorausgeht, die wiederum eine semantische und syntaktische Grundlegung und zu allererst eine pragmatische Verankerung voraussetzt.

2. Grundmodelle für die Multiplikation

Didaktisch fragwürdig ist das häufig angewandte methodische Konzept, das nicht mit dem Aufbau des Multiplikationsbegriffs, sondern mit dem Aufbau von Folgen (den sogenannten Einmaleinsreihen) ansetzt, im günstigen Falle daraus den Multiplikationsbegriff gewinnen lässt und im günstigsten Falle darüber hinaus zu Einsichten in operative Zusammenhänge führt:

(0) (ç+2) 2 (ç+2) 4 (ç+2) 6 (ç+2) 8 (ç+2) 10 (ç+2) 12 (ç+2) 14 (ç+2) 16 (ç+2) 18 (ç+2) 20

Gliednummer 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Sprechweise 1·2=2 2·2=4 3·2=6 4·2=8 5·2=10 6·2=12 7·2=14 8·2=16 9·2=18 10·2=20

Die Schüler müssen „entsprechende Sachsituationen als Multiplikationssituationen erkennen“ lernen.6

a Vereinigung einer Menge gleichmächtiger Mengen

ç Multiplikation als wiederholte Addition gleicher Summanden.

Zeitlich-sukzessiver (synthetischer, dynamischer) Aspekt: Zusammenstellung bzw. Vereinigung gleichmächtiger Mengen zu einer Gesamtmenge als aufbauende Handlung.

Räumlich-simultaner (analytischer, statischer) Aspekt: Zusammenstellung bzw. Vereinigung gleichmächtiger Mengen zu einer Gesamtmenge als gegebene Situation.

Ein Streit darüber, welchem Aspekt dieses Grundmodells der Vorzug zu geben sei, ist überflüssig.7

Wenn der Multiplikationsbegriff gebildet ist, ist für die operative Durcharbeitung multiplikativer Zusammenhänge hervorragend geeignet:

Das rechteckige Feld als Multiplikationsmodell

Bei Produkten wie 3·4 denken, sprechen und handeln wir so: Die erste Zahl sagt uns, wie viele Reihen unser Feld haben soll; die zweite Zahl sagt, aus welchen Reihen das Feld bestehen soll. Erst wird eine Viererreihe hergestellt (gelegt, gesteckt, gezeichnet, ...), dann die zweite Viererreihe und schließlich die dritte Viererreihe. Dann haben wir drei Viererreihen mit insgesamt 3·4 = 4+4+4 = 12 Einzelteilen.

Wenn wir berechnen, aus wieviel Einzelteilen ein Feld besteht, müssen wir zählen, wieviel Reihen es enthält (hier sind es vier Reihen) und wie viele Einzelteile jede Reihe enthält (hier sind es fünf Kästchen je Reihe). Weil es hier vier Fünfer(reihen) sind, schreiben wir 4·5, und das bedeutet 5+5+5+5.

Man muss Kindern nahelegen, genau zu zeigen, worüber sie gerade sprechen. Wenn sie also Reihen zählen, dann muss der Finger eine Reihe nach der anderen entlangfahren,

also so: und nicht so:

Das mag manchem vielleicht als Haarspalterei vorkommen; aber ohne diese genaue Übereinstimmung zwischen der Handlung und der Bedeutung dieser Handlung können sich dem Kind unnötige Hürden in den Weg stellen, wenn es grundlegende Begriffe erlernen soll.

Schauen wir uns den verheerenden Unsinn an, den die falsche Regel „runter mal rechts“ oder „Länge mal Breite" bei manchen Zweitklässlern anrichten kann! Sie führt zu der Gleichung 3· 4 = 7 oder, wenn das Kind die Lösung immerhin durch Zählen nachprüft, zur Gleichung 3· 4 = 6. Auch dieser falschen Theorie liegt ganz gewiss keine selbstentdeckte Regel, sondern ein von Eltern (oder Lehrern!) nahegelegter, sehr missverständlicher „Trick" zugrunde.

IRRTUM

„Welches Feld wolltest du zeichnen?"
„3·4.“
Aha; erklär mir, was du gezeichnet hast.“
„Das bedeutet drei mal vier. Hier sind drei, und da sind vier." „Und wieviel ist 3·4?"
„7."
„7? Zähl bitte nach!"
„Das sind drei runter: eins, zwei, drei. Und vier so lang: eins, zwei, drei, vier. Das sind zusammen sieben."

Durch Zerlegungen und Neuzusammensetzungen von Feldern kann der Schüler z.B. entdecken, dass die Produkte 3·8 und 6·4 gleich sind; dabei gewinnt er immanent Einsicht
* in die Assoziativität (3·8=3·[2·4]=6·4) und
* in die Distributivität der Multiplikation (3·8=3·(4+4)=3·4+3·4=6·4) sowie
* in die Ausgleichsregeln für die Multiplikation (3·8=[3·2]·[8:2]=6·4).

Dass schwierige Multiplikationsaufgaben (z.B. 7·8 oder 9·7) operativ durch Nutzung der Distributivität der Multiplikation bezüglich der Addition und der Subtraktion auf leichte (5·8+2·8 bzw. 10·7-1·7) zurückgeführt werden können, erlernt der Schüler handelnd durch Zerlegungen bzw. Ergänzungen von Feldern.

b) Das Kartesische Produkt

Ein Aufbau des Multiplikationsbegriffs über das Kartesische Produkt (Kreuzprodukt) ist didaktisch ungünstig:
„ - Da beim Kartesischen Produkt Elemente mehrfach benutzt werden müssen [...], kann nicht das gesamte Kartesische Produkt auf einmal mit Material gelegt werden [...].
- Veranschaulicht man das Kartesische Produkt durch Strichdiagramme, so wird diese Darstellungsform schon bei kleinen Zahlen äußerst kompliziert und unübersichtlich.
- Das Kind besitzt wesentlich weniger Erfahrungen mit der Kreuzproduktbildung als mit der - konkret behandelten - Mengenvereinigung.
- Der Anwendungsbezug ist bei der Einführung über das Kreuzprodukt sehr viel geringer und einseitiger als beim Weg über die Mengenvereinigung; denn sämtliche Beispiele für das Kreuzprodukt stammen ausschließlich aus einem einzigen Bereich, aus dem Bereich der Kombinatorik.
- Beim Weg über das Kreuzprodukt fehlt die Möglichkeit, Multiplikationsaufgaben frühzeitig auf einfachere Additionsaufgaben zurückzuführen.
- Die Umgangssprache als Anknüpfungspunkt („zweimal“, „dreimal“ usw.) steht nur bei dem Weg über die Mengenvereinigung zur Verfügung.
- Die Beziehungen zwischen der Multiplikation und der Division als Umkehroperation leuchten bei Benutzung der Mengenvereinigung unmittelbarer und besser ein als bei einem Weg über das Kartesische Produkt.“8

c) Operatormodell

„Einleitend konkretisiert man Multiplikationsoperatoren durch Maschinen, die z.B. für jedes eingegebene Plättchen zwei oder vier Plättchen ausgeben. [...] Multiplikationsoperatoren kann man auch [...] mit Hilfe von Pfeilen oder in Form von Tabellen konkretisieren.“9
Das Operatormodell kommt „als Haupteinführungsweg für die [...] Multiplikation nicht in Frage“10.

3. Zum „kleinen Einsmaleins“

Zu den Zielen der 2. Klasse gehört noch nicht das Auswendigwissen der Sätze des „kleinen Einsmaleins“, sondern „nur" die Fähigkeit, Produkte (und Quotienten) ausrechnen zu können und dabei Beziehungen zwischen Aufgaben zu nutzen. Der Fertigkeit muss die Einsicht in operative Zusammenhänge vorausgehen. Wenn jemand einen „Einsmaleinssatz“ sagt, muss er wissen, was er bedeutet und wie er überprüft werden kann. „Erarbeitung einer Einsmaleinsreihe" sollte nur mittelbar auf das Behalten starrer Sätze oder Reiz-Reaktions-Ketten zielen. Im Zuge der Erarbeitung müssen vielmehr - über die Umformung von Produkten durch Anwendung der Kommutativität der Multiplikation hinaus-gehend - folgende arithmetische Operationen und ihre Anwendung erlernt werden:

3·10=30 und 2·5=10. Wer das weiß, kann 6·5 schnell ausrechnen, denn immer zwei Fünfer sind ein Zehner, daher ist 6·5 = 3·10 = 30.
Allgemein: n·a=m·b mit n=2·m und b=2·a (gegensinnige multiplikative Veränderung der Faktoren eines Produkts)

10·8=80 und 2·5=10. Wer das weiß, kann 5·8 schnell ausrechnen, denn fünf Achter sind halb soviel wie zehn Achter; daher ist 5·8 = (10·8):2 = 40.
Allgemein: n·a=(m·a):2 mit m=2·n

3·4=12 und 2·4=8. Wer das weiß, kann 3·8 schnell ausrechnen, denn drei Achter sind doppelt soviel wie drei Vierer; daher ist 3·8 = (3·4)·2 = 24.
Allgemein: n·a=(n·b)·2 mit a=2·b

3·7=21. Wer das weiß, weiß auch: 7·3=21 („Tauschaufgaben").
Allgemein: n·a =a·n (Kommutativität der Multiplikation)

5·6=30 und 1·5=5. Wer das weiß, kann 5·7 und 5·5 schnell ausrechnen („Nachbaraufgaben"); 5·7 = 5·6 + 5·1 = 30 + 5 und 5·5 = 6·5 Ö 1·5 = 30 Ö 5.
Allgemein: n·a = (n+1)·a Ö a und n·a = (n Ö 1)·a + a

5·8=40 und 2·8=16. Wer das weiß, kann 7·8 schnell ausrechnen, denn sieben Achter sind zwei Achter mehr als fünf Achter; daher ist 7·8=5·8 + 2·8 = 40 + 16.
Allgemein: n·a = (n Ö b)·a + b·a

Umformung von Produkten durch Anwendung der Assoziativität der Multiplikation (6·8 lässt sich wegen 6=2·3 und wegen (2·3)·8=2·(3·8) auf 3·8 zurückführen).

Umformung von Produkten durch Anwendung der Regularität der Multiplikation (6·4=x·8 lässt sich wegen 6=3·2, wegen (3·2)·4=3·(2·4) und wegen 2·4=8 so umformen, dass die Lösung evident wird: 6·4=x·8 Ø 3·8=x·8 Ø x=3).

Umformung von Produkten durch Anwendung der „Ausgleichsregeln“ für die Multiplikation (3·8=(3·2)·(8:2)=6·4).

Umformung von Produkten durch Anwendung der Distributivität der Multiplikation bezüglich der Addition und bezüglich der Subtraktion (8·9 kann wegen 9=10-1 und wegen 8·(10-1)=8·10-8·1 auf 8·10 bezogen werden).

10·9=90 und 1·9=9. Wer das weiß, kann 9·9 schnell ausrechnen, denn neun Neuner sind ein Neuner weniger als zehn Neuner; daher ist 9·9 = 10·9 Ö 1·9 =90 Ö9.
Allgemein: 9·a = 10·a Ö a

Wenn das Kind diese Aufgabenbeziehungen erkannt und zu nutzen geübt hat, braucht es keine Multiplikationsaufgabe mehr in der zeitraubenden Art 5·7 =Ü[(7+7)+7]+7+7 (drei Zehnerüberschreitungen!) zu berechnen. Voraussetzung ist aber, dass es in seinem Gedächtnis mindestens folgende „Inseln" gebildet hat, von denen aus es zu unbekannten Multiplikationsgleichungen springen kann:
die Gleichungen zu allen Produkten der Art K·1 (K ist irgendeine Zahl zwischen 0 und 10)
die Gleichungen zu allen Produkten der Art K·2
die Gleichungen zu allen Produkten der Art K·10
die Gleichungen zu möglichst allen Produkten der Art K·5
die Gleichungen zu möglichst vielen Produkten der Art K·K
(Quadratzahlen)

Von allen möglichen Aufgaben des kleinen Einsmaleins sind von diesen „Inseln" aus und unter Berücksichtigung der problemlosen Tauschaufgaben-Beziehung schon 70% gedächtnismäßig erfasst und damit „erledigt"! Die übrigen Aufgaben lassen sich mit Hilfe der oben genannten Beziehungen auf bekannte Multiplikationsgleichungen zurückführen und so ohne große Schwierigkeiten lösen. Das „kleine Einsmaleins“ wird auf diese Weise schon beherrscht.

Erst Drittklässler sollen (im Laufe des ersten Halbjahrs) sämtliche Gleichungen des „kleinen Einsmaleins“ automatisiert haben, also über sie ohne Nachdenken, ohne Rechnung, aus dem Gedächtnis heraus verfügen können (Rahmenplan Mathematik!). Wer schon jetzt in der 2. Klasse, also am Anfang des Multiplizierenkönnens angeleitet wird, sämtliche Einsmaleinssätze auswendig zu lernen, kümmert sich nicht um Rechenvorteile (also arithmetische Zusammenhänge) und hat deshalb viel aufwendigere Lernarbeit zu leisten, ohne dann beim Rechnen wirklich sicherer zu sein als andere Kinder, die auf intelligente Weise zu multiplizieren gelernt haben. Spätestens wenn Aufgaben wie 8·25 oder 17·19 zu lösen sind, ist dem Rechner zu wünschen, dass er Zahl- und Aufgabenbeziehungen zu nutzen versteht. Deshalb:
Von Anfang an richtig und gründlich lernen, und das heißt vor allem: zuerst nachdenkend lernen, erst zuletzt auswendig lernen!

Einsicht in ein Verfahren kann weniger durch Anwendung dieses Verfahrens in Aufgaben eines gewohnten Typs kontrolliert werden (die Schüler könnten sie auch unter mechanischer Technikanwendung lösen); wesentlich für die Einsicht sind die Fähigkeiten,
* Fehler zu entdecken und begründet richtigzustellen,
* über das Verfahren reversibel zu verfügen,
* Sonderfälle zu meistern und
* den Anwendungsbereich des erlernten Verfahrens (in Ansätzen) zu erweitern.

Man kann es nicht oft und deutlich genug betonen: Die arithmetischen Sachverhalte sind ein zu wichtiges mathematisches Lernfeld, als dass man sie Schüler bloß abgrasen und wiederkäuen lassen dürfte!

Es ist schon verräterisch, wenn eine Mathematiklehrerin von der „Einführung des (kleinen) Einmaleins“ spricht, wenn didaktisch die Hinführung zum Multiplikationsbegriff ansteht, und vom „Einüben der Einmaleinsreihen (zur 2, 4, 5, ...)“, wenn es didaktisch darum gehen müsste, zunächst die Beziehungen zwischen multiplikativen Sachverhalten (und auf abstrakter Ebene: die Beziehung zwischen Multiplikationsgleichungen) entdecken zu lassen und nutzen zu lehren.11
Aufgrund meiner Erfahrung im Grund-, Haupt- und Realschul-Mathematikunterricht vertrete ich die These, dass die in der Grundschullehrerschaft übliche Verkürzung der Multiplikationsdidaktik operativer Prägung auf eine Didaktik der Einsmaleinsreihen memorialer Prägung mit eine Ursache dafür ist, dass in höheren Klassen fundamentale arithmetische Einsichten nicht zur Verfügung stehen, wenn es um einen vorteilhaften Umgang mit Rechenaufgaben geht; die Didaktik der Einsmaleinsreihen ist sogar auf dem memorialen Gebiet, auf das sie sich doch konzentriert, wenig erfolgreich, wie die große Zahl der Viert-, Fünft-, Sechst-, ...-klässler mit elementaren Unsicherheiten beim Multiplizieren belegt.

Es ist ein Irrtum anzunehmen, operative Zusammenhänge könnten nur von entsprechend intelligenten Schülern entdeckt oder eingesehen werden. Das kann nur dann richtig sein, wenn aus einem Mangel an didaktischer Reduktion den Schülern das experimentierende, erarbeitende und durcharbeitende Handeln an einem Modell vorenthalten wird, das dem mathematischen Sachverhalt homomorph ist.

4. Didaktische Reduktion der Menge der Sätze des kleinen Einsmaleins durch Einsicht in die operativen Zusammenhänge zwischen den elementaren Produkt-Produktwerte-Zuordnungen

· 1 Ë Ì Í Î Ï Ð Ñ Ò ÊÉ

1

2 1+1 2+2

3 3+32·3+3

4 4+422··4(2+·43) 2·(2·4)

5 5+5(120··53+)ö52(120··(42)·ö52)(10·5)ö2

6 63+·(62·2)25··63++63325···((242·+·464))(351··0(·52+6·)5ö5)255··66++66

7 7+75·23·+7+2·73 52··4(2+·27·) 45(1·05·+72)ö·52 552···67(3++·277·)65·7+2·7

8 108·+28-2·21402···3(82-+·23·8)310·4-2·41(100··58-2ö)·251520···86(4+-·286·)6510··87+-22··8710·8-2·8

9 130·9·+(239-·22)21·0·9+3-93(3·212·0)(··24(·2-9·4)3) (1100··95)-ö52150··96+-6951·09·+7-27·91(0190···948-)·-28·2910·9-9

10 10+10

Farbenerklärung:

trivial bzw. fast trivial

sollte im Rahmen des Addierenlernens bereits automatisiert sein

ableitbar als Hälfte des entsprechenden Produkts mit dem Faktor 10

5. Voraussetzungen für operativen Umgang mit Produkten

a) Die operativen Zusammenhänge, die auch später (bei der Berechnung von Produkten mit mindestens einem zwei- oder mehrstelligen Faktor) noch als Grundlage für Rechenvorteile dienen können und dienen sollten, können vom Schüler nur dann angenommen und genutzt werden, wenn er hinreichende Sicherheit im Rechen mit zweistelligen Zahlen gewonnen hat. Wenn diese Voraussetzung nicht erfüllt ist, folgt daraus, dafür zu sorgen, dass sie erfüllt wird; es folgt daraus nicht, dass auf das Operative der Erarbeitungsprozesses verzichtet werden müsste.

b) Der Multiplikationsbegriff muss aufgebaut sein:
* Sachwirklichkeitszusammenhänge, in denen es um eine Anzahl gleichmächtiger Mengen geht, können mit Hilfe der Verknüpfung Multiplikation mathematisch modelliert werden.
* Die multiplikativen Zusammenhänge können sprachlich eindeutig dargestellt werden; dazu gehört neben der umgangssprachlichen Darstellung auch die Codierung mit Hilfe von Ausdrücken der elementaren Arithmetik über N:
- Terme zur Bezeichnung von Zahlen,
- der Funktor „·“ („mal“) zur Bezeichnung der multiplikativen Funktion N*N→N,
- Operatoren der Form „·n“ oder der Form „n·“ zur Bezeichnung der Funktion N→N,
- prädikative Ausdrücke über N*N*N (multiplikative Gleichungsaussagen, Gleichungsformen, Ungleichungsaussagen, Ungleichungsformen, Operationsdarstellungen der Form ) unter Beachtung der syntaktischen Festlegungen des arithmetischen Zeichensystems.
* Multiplikative Ausdrücke können decodiert (mit einer Bedeutung belegt) werden. Dabei sind folgende syntaxbezogene Fähigkeiten erforderlich:
- das Produkt im Zeichenkomplex zu erkennen,
- im Produkt den Operator (Multiplikator) und den Multiplikand zu erkennen,
- in einem prädikativen Ausdruck die Zuordnung von Produkt und Produktwert zu erkennen,
und folgende semantikbezogene Fähigkeiten:
- zur Interpretation des multiplikativen Ausdrucks auf ein Modell oder eine Modellvorstellung12 zurückgreifen zu können.
* Bei der Berechnung des Werts einen Produkts kann zurückgegriffen werden
- auf die Eigenschaften der Multiplikation,
- auf die additiven und multiplikativen Eigenschaften, die die als Faktoren auftretenden Zahlen besitzen,
- und auf die durch die Zahldarstellung nach dem Stellenwertprinzip gegebenen Informationen.
Die diese Eigenschaften und Beziehungen modellierenden Grundvorstellungen müssen geläufig sein.
- Die Eigenschaften der Multiplikation sind: die Kommutativität, die Assoziativität, die Existenz eines neutralen Elements (1), die bedingte Umkehrbarkeit13, die Distributivität.
- Die additiven Eigenschaften (die möglichen additiven Zerlegungen) der Faktoren sind bei der Anwendung der Distributivgesetze von Bedeutung:
Wenn n=a+b, dann n·m=(a+b)·m=a·m + b·m; 14
wenn n=a-b, dann n·m=(a-b)·m=a·m - b·m;15
wenn m=a+b, dann n·m=m·(a+b)=m·a + m·b;16
wenn m=a-b, dann n·m=m·(a-b)=m·a - m·b;17
Umkehrungen:
wenn n=a+b, dann a·m + b·m=(a+b)·m=n·m;18
wenn n=a-b, dann a·m - b·m=(a-b)·m=n·m;
wenn m=a+b, dann m·a + m·b=m·(a+b)=n·m;
wenn m=a-b, dann m·a - m·b=m·(a-b)=n·m.
- Die multiplikativen Eigenschaften (die möglichen multiplikativen Zerlegungen) sind von Bedeutung bei der Anwendung des Assoziativgesetzes in Form der „Ausgleichsregeln“:
Wenn n=a·b, dann n·m=(a·b)·m=a· (b·m);19
wenn m=a·b, dann n·m=n·(a·b)=(n·a)·b;20
XXX

6. Abfolge der Lernschritte:

Vom Aufbau des Multiplikationsbegriffs bis zum Beherrschen des kleinen Einmaleins

1. Bildung des Begriffs des Multiplizierens (Aufbau der multiplikativen Operation) (Herauslösung aus Sachwirklichkeitsproblemen; Handlungsorientierung im doppelten Sinne).

2. Notation.

3. Durcharbeitung der Operation (operative Übung):
a) Üben des Herauslösens aus Sachwirklichkeitsbezügen / Üben des Einbettens in Sachwirklichkeitsbezüge;
b) syntaktisch-semantische Durcharbeitung; auch: multiplikative und lineare Zerlegung von Zahlen21.
4. Beziehungen zwischen Produkten (A·, K·, D·,ñ, gegensinnige Veränderung).
5. Rechenschema(ta).
6. Fertigkeitsübung: Kernaufgaben (Produkte mit 1, 10, 2 und 5 als Faktoren). (Mitübung der Beziehungen zwischen Einsmaleinssätzen).
7. Auf- und Ausbau der Einsmaleinskenntnisse.
8. Fertigkeitsübung: Automatisierung der Einsmaleinskenntnisse.

Anmerkungen:

1: Wenn Sie meinen, auf diese Aufforderung mit der Nennung der Zahl 35 reagieren zu müssen, irren Sie. Wer mit der Nennung des Terms 5·7 reagiert, tut dem Begriffsinhalt des Multiplizierens (eine Verknüpfung!) vollauf Genüge. 5·7 ist das Produkt aus 5 und 7; es bezeichnet eine Zahl, deren Standardname 35 ist.

2: „Einmaleins“ im bürgerlichen Sinne heißt eine Zusammenstellung aller Produkte von je zwei natürlichen Zahlen unter 10 (kleines Einmaleins) oder aller Produkte von je zwei natürlichen Zahlen unter 20 (großes Einmaleins).õ Athen, H. / Bruhn, J. (Hrsg.): Lexikon der Schulmathematik. Band 1. Köln: Aulis, 1976.S. 226.

3: Eine Reihe ist ein Ausdruck der Form a1 + a2 + a3 + ... Eine (endliche) arithmetische Reihe mit dem Anfangsglied a1 und dem Endglied an = a1 + (n Ö 1)·d (d ist die Differenz zwischen zwei benachbarten Gliedern am und am-1) hat den Wert
sn = n·m(a1, an) = h·n·(a1 + an) = n·(a1 +n-21·d), wobei m(a1, an) den Mittelwert des ersten und des letzten Gliedes bezeichnet.

4: „Vor einem bewussten Einprägen der meisten Aufgabensätze im Laufe der Grundschulzeit kommt es wesentlich darauf an, den Charakter und die Eigenschaften der Operationen herauszuarbeiten sowie die operativen Beziehungen den Schülern zu verdeutlichen. Kennen der Grundaufgabengleichungen, spätestens bis zur Erarbeitung der schriftlichen Rechenverfahren zur Multiplikation und Division, und das Wissen über mögliche Lösungswege sind gleichzeitig anzustrebende Ziele.õ Radatz, Hendrik / Schipper, Wilhelm: Handbuch für den Mathematikunterricht an Grundschulen. Hannover: Schroedel, 1983. S. 83. „Vor der systematischen Erarbeitung der Reihen muss selbstverständlich die Klärung des Multiplikationsbegriffs und das Herausarbeiten der Möglichkeit stehen, jede Multiplikationsaufgabe auf eine Additionsaufgabe zurückzuführen.õ Ebenda, S. 85.

5: Nach Friedhelm Padberg, Didaktik der Arithmetik. Mannheim 1992. S. 109 f. (in Anlehnung an J. Anghilieri, An Investigation Of Young Children's Understanding Of Multiplication, in: Educational Studies in Mathematics, Nov. 1989, S. 367-385).

6: Friedhelm Padberg, Didaktik der Arithmetik. Mannheim 1992. S. 114.

7: Vgl. Friedhelm Padberg, Didaktik der Arithmetik. Mannheim 1992. S. 114.

8: Friedhelm Padberg, Didaktik der Arithmetik. Mannheim 1992. S. 116_f.

9: Friedhelm Padberg, Didaktik der Arithmetik. Mannheim 1992. S. 117.

10: Friedhelm Padberg, Didaktik der Arithmetik. Mannheim 1992. S. 118.

11: In Gegensatz zur vielfach üblichen (und von Breidenbach mit Nachdruck geforderten) getrennten Ableitung von Einsmaleinsreihen plädieren Wittmann/Müller (Handbuch produktiver Rechenübungen. Band 1: Vom Einspluseins zum Einmaleins. Stuttgart 1990. S. 107) für einen Zugang zum 1*1, „der von Anfang an auf eine ganzheitliche Sicht aller 1*1-Aufgaben ausgerichtet ist. Dementsprechend soll sowohl bei der einführenden Darstellung und Berechnung von Malaufgaben an Punktfeldern als auch bei der Durcharbeitung des 1*1 konsequent auf Zusammenhänge hingearbeitet werden. [...] Insbesondere wollen wir zeigen, dass man die Reihen keineswegs der Reihe nach behandeln muss.õ

12: zum Beispiel auf die Darstellung durch eine Repräsentantenmenge, deren Elemente in einem Feld mit rechteckigem Grundriss angeordnet sind

13: Zwar ist in Nnicht jede Gleichung der Form a=b·x lösbar, aber in Ngilt der Satz von der Division mit Rest: Zu jedem Paar (a, b) aus N*Ngibt es genau ein Paar (q, r)aus N*N, so dass a = b·q + r mit r<b. Somit ist in N jede Gleichung der Form a=b·x+y (mit y<b) (eindeutig) lösbar.

14: Beispiel: 7=5+2; 7·8=(5+2)·8=5·8 + 2·8

15: Beispiel: 8=10-2; 8·7=(10-2)·7=10·7 - 2·7

16: Beispiel: 6=5+1; 8·6=8·(5+1)=8·5 + 8·1

17: Beispiel: 9=10-1; 7·9=7·(10-1)=7·10 - 7·1

18: Beispiel: 7=5+2; 5·8 + 2·8=(5+2)·8=7·8

19: Beispiel: 8=4·2 ç 8·3=(4·2)·3=4·(2·3)=4·6

20: Beispiel: 2·9=2·(3·3)=(2·3)·3=6·3

21: Beispiel für multiplikative Zerlegungen:
12 = 3·4 = 4+4+4;
12 = 4·3 = 3+3+3+3 (mit Durcharbeitung der unmittelbaren Beziehung zwischen 3·4 und 4·3);
12 = 2·6 = 6+6 [mit Durcharbeitung der unmittelbaren Beziehung zwischen 4·3 und 2·6];
12 = (2·2)·3 = 2·(2·3) [Assoziativität];
Beispiel für lineare Zerlegung (Zerlegung einer beliebigen Zahl nach dem Satz von der Division mit Rest): 12 = 2·5 + 2 [fakultativ mit Durcharbeitung der unmittelbaren, auf der Distributivität beruhenden Beziehung zwischen 2·6 und 2·5 + 2].