Kunstunterricht in einer dritten Klasse. Die Lehramtsreferendarin will die Kinder in das Thema „Feuerwerk - mehrschichtiges Malen mit Wachsmalkreide“ „einstimmen“. „Wisst ihr, was mir gestern Abend passiert ist? Ich sitze gerade beim Abendbrot, da kracht und poltert es draußen los! Ich denke, was ist denn da nur passiert, und schaue aus dem Fenster. Ganz dunkel war es draußen, aber dann blitzte es über den Häusern auf, und dann krachte es, und rote, blaue und gelbe Kugeln schwebten durch die Luft. Gleich darauf sauste eine Rakete pfeifend hoch und zerplatzte dann in Hunderten von kleinen weißen Funken. Und so ging es dann weiter, etwa fünf Minuten lang. - Was habe ich da wohl gesehen?“
Einige Kinder melden sich, andere murmeln: „Ein Feuerwerk, hab ich auch schon mal gesehen.“ Ein Mädchen fragt verwundert: „Du wohnst doch auch in Allendorf, ja? Aber gab es denn gestern ein Feuerwerk? Das Schützenfest ist doch erst nächstes Wochenende; da machen sie bestimmt ein Feuerwerk, sagt mein Vater.“
Die ertappte Erzählerin weiß sich zu helfen: „Na ja, das war auch nicht gestern Abend, sondern es ist schon etwas länger her. Aber ihr habt gut erkannt, dass es ein Feuerwerk war. Wie malen wir ein Feuerwerk?“ Die Kinder sagen „bunt“ und „mit Kugeln und Sternchen in der Luft“, und die Lehrerin ergänzt „in sonst schwarzer Umgebung“ und „wir malen das Bild mit Wachsmalkreide in mehreren Schichten: erst die leuchtenden Farben für das Feuerwerk, dann darüber eine schwarze Schicht für die Dunkelheit; dann werden die Kugeln und die Feuerwerkssterne ausgekratzt“. „Thema“ und „Technik“ sind da; schon kann die praktische Arbeit beginnen.
Die Schüler gingen dem sogenannten einstimmenden und motivierenden Lehrer-Erfahrungsbericht mit seinem fiktiven und trickdidaktischen Charakter nicht auf den Leim. Was Heinrich Roth uns unter der Bezeichnung „originale Begegnung“ ans Didaktikerherz gelegt hat, ließ sich daher einmal verhältnismäßig leicht weiterempfehlen: Eine Woche hätte die Kollegin nur noch mit ihrem Thema zu warten brauchen, dann wäre es (fast) von selbst den Kindern ein Thema gewesen.
Und wenn das Schützenfest mit dem nächsten Feuerwerk noch drei Jahre auf sich warten lässt? Dann fällt den Drittklässlern zum Stichwort „Feuerwerk“ genug eigene Erfahrung (Sylvester; Arolser Viehmarkt) ein, die sie mit Händen und Füßen zur Sprache bringen können. (Die Hände und Füße sind dabei ganz wichtig: Was ein Feuerwerk ist, lässt sich mit Gewinn für die anschließende ästhetische Produktion mit dem ganzen Körper darstellen.) Wenn Kinder noch nie ein Feuerwerk erlebt haben sollten, müsste man mit ihnen eines veranstalten oder ihnen wenigstens einen Videofilm-Ausschnitt vorspielen.
Aber auch das Technische (hier die Mehrschichten- und Kratztechnik bei Verwendung von Wachskreide) hätten die Kinder erobern können, statt es nur zu übernehmen.
Der Unterschied zwischen Bildung und Anleitung liegt darin, welchen Anteil die Persönlichkeit, die Erfahrung und die selbständige geistige Arbeit des Lernenden am Zustandekommen von Lernfortschritten haben. Selbst im Sportunterricht sind wir über die Zeiten hinweg, da man in der Imitation eines (Bewegungs-)Vorbilds den Inbegriff des Lernens sah.
Verfahrensweisen und „Abstraktionen sind zu wichtig, als dass man sie dem Schüler einfach mitteilen sollte; er muss selbst auf sie stoßen. [...] Der Schüler entwickelt viel eher ein Verständnis, wenn er eine Reihe begrifflicher Reorientierungen durchläuft, als wenn er einer logischen Exposition folgt. Das Problem des Unterrichts ist es, Lernsituationen zu schaffen, aus denen der Schüler Erfahrungen gewinnt, die ihn zur Reorientierung zwingen.“ Das erfordert „einen kontextbezogenen Unterricht, welcher dem Charakter und den Bedürfnissen der Menschen mehr Aufmerksamkeit schenkt.“ (T. J. Fletcher)[1]
[1] Fletcher, T. J.: Der Geometrieunterricht - aktuelle Probleme und Zielvorstellungen. In: Association of Teachers of Mathematics (Hg.): Mathematische Studien. Klett, Stuttgart, 1969. S. 23.
Siehe auch: Geschichtenmethode