Die Disposition mancher Unterrichtsentwürfe folgt nicht der operationalen Logik eines Planungsprozesses, sondern irgendwelchen vorgegebenen Formularen. Das ist meiner Aufgabe und Absicht als Leser mehr oder weniger hinderlich, die didaktische Struktur des Unterrichtsvorhabens zu verstehen. Nach der Vorab-Lektüre manchen derartigen Entwurfs bin ich nicht sicher, ob mir etwas gefehlt hätte, wenn ich ihn nicht gelesen hätte.
Sie können sich beim Verfassen eines schriftlichen Unterrichtsentwurfs
an Vorlagen orientieren, müssen es aber nicht. Ich füge hinzu: Wenn Sie sich und Ihrem Leser intellektuell keine Gewalt antun wollen,
verfassen Sie Ihre didaktischen Ausarbeitungen als originale Darlegung originaler Gedankenarbeit und
nicht etwa als Ausfüllung eines Formulars (gähn).
Eines muss klar sein und bleiben und in der didaktischen Ausarbeitung konkret werden:
Der Zweck von Unterricht ist die Initiierung,
Stützung und Sicherung von Bildungsprozessen.
Daher muss die ausführliche Darstellung eines Unterrichtskonzepts die Inhalte, Ziele und Begründungen
beabsichtigter Bildungsprozesse und die Klärung der diese Prozesse tragenden Verfahren und
Mittel enthalten.
Nach meiner ausbildungsdidaktischen Grundüberzeugung lernt man Untericht zu planen
weder durch Ausfüllen schematischer Vorlagen noch durch sprachliche Anlehnung an einen
Katalog von Vorformuliertem, sondern durch eigenständige Auseinandersetzung mit der
aktuellen Unterrichtsaufgabe. (Siehe auch: Zur Frage der Ausführlichkeit eines schriftlichen Unterrichtsentwurfs.)
Unter „Vorüberlegungen“ versteht der unverbrämte Sprachgebrauch
Überlegungen, die zeitlich noch vor dem eigentlichen
Nachdenken angestellt werden, etwa um ihm grundsätzliche Bedingungen und Annahmen
vorauszuschicken und so den Rahmen zu spezifizieren, dessen Klärung ihm
aufgetragen sein soll. Wenn Sie an dieser Stelle „Vorüberlegungen“ notieren wollen,
worum handelt es sich dann bei den mit „Bedingungsanalyse“, „Einbettung der Stunde in die
Unterrichtseinheit“, „Einordnung der Einheit in den Lehrplan“ und „Sachanalyse“ überschriebenen
Ausführungen? Um Vor-Vorüberlegungen?? Oder um Vorüberlegungen, die aber nicht „didaktisch-methodischen“
Inhalts sind?? Und wenn es sich im 5. Abschnitt um didaktisch-methodische Vorüberlegungen
handelt, sollen dann etwa die substantiellen didaktisch-methodischen Überlegungen
der Verlaufsplanung im 8. Abschnitt entnommen werden??
Sie sehen: Sie kommen textgliederungslogisch und didaktiklogisch in Teufels Küche,
wenn Sie
von irgendjemandem oder von irgendeiner Institution ein angeblich bewährtes oder
angeblich vorgeschriebenes,
gleichwohl unlogisches,
didaktiktheoretisch unhaltbares
Gliederungsschema übernehmen. Selbst wenn es sich um ein geeignetes Gliederungsschema
handelte, hielte ich seine Anwendung für bedenklich; geht es doch beim
Verfassen einer didaktischen Ausarbeitung nicht darum, der
Abgabe einer Steuererklärung vergleichbar ein Formular auszufüllen.
Der notwendigen Originalität (und Qualität) der didaktischen Auseinandersetzung ist ein solches
Vorgehen fast in jedem Fall abträglich.
Angenommen, die so genannten „didaktisch-methodischen Überlegungen“ (wir nennen sie jetzt aus den dargelegten Gründen nicht mehr Vorüberlegungen) hätten, was in den meisten vorgelegten Unterrichtsentwürfen der Fall ist, im Wesentlichen gar nicht die didaktische Analyse der Unterrichtsthematik, sondern die unterrichtsmethodische Konstruktion zum Gegenstand (so dass wir sie nicht „didaktisch-methodische Überlegungen“, sondern „methodische Konstruktion“ nennen sollten), dann ist es unlogisch, sie vor den gesetzten Unterrichtszielen darzustellen. Methode sind die Mittel, Formen und Wege der Zielerreichung. (Klippert hin, didaktische Vernunft her -:) Unterrichtsmethodische Komponenten sind nur als Mittel für einen didaktischen Zweck (Unterrichtsziel) sinnvoll. Zwar kann und soll auch das Erlernen von Methoden ein didaktischer Zweck sein; aber auch dann bleibt es dabei: Für diesen Zweck ist eine unterrichtsmethodische Konstruktion erforderlich, und diese unterrichtsmethodische Konstruktion ist ein Mittel für diesen Zweck. Auch kann es vernünftig und notwendig sein, Unterrichtsziele aufgrund gewisser unterrichtsmethodischer Entscheidungen zu modifizieren oder zu ergänzen. Aber in jedem Fall sind die Hauptziele des Unterrichts Kernbestandteil der didaktischen Analyse und sollten nicht zwischen die Darstellung der methodischen Unterrichtskonstruktion und die doch ebenfalls zur Unterrichtsmethodik gehörende Verlaufsplanung geschoben werden.
Wenn die didaktischen Überlegungen beim mathematischen Inhalt des
Unterrichts ansetzen, sollte dies einen entsprechenden Niederschlag in der
Gliederung der didaktischen Ausarbeitung finden.
Eine didaktische Ausarbeitung
mit einer Bedingungsanalyse zu eröffnen ist genau dann sinnvoll,
wenn die zentralen didaktischen (intentionalen und thematischen)
Entscheidungen auf die Bedingungen gegründet werden sollen, wenn also
die Berücksichtigung der Bedingungen über anpassende Modifikationen des im Wesentlichen
schon feststehend Vorgesehenen hinausgeht und der Planungsanlass im Bedingungsfeld
liegt. Dann müssten konsequenterweise sämtliche Entscheidungsmomente, nicht etwa nur die
Methodik und die Medienwahl, sondern auch die Intentionalität und Thematik
des Unterrichts aus der Betrachtung des Bedingungsfeldes
heraus entwickelt werden.
Wenn die Planung aber ihren Ausgang nimmt von einer thematischen
oder intentionalen Setzung, dann ist eine Untersuchung der Bedingungen für einen
thematisch oder
intentional festgelegten Unterricht nur im Anschluss an die Darstellung des
thematischen beziehungsweise intentionalen Kerns
sinnvoll und verständlich (und notwendig). (Siehe G. D. Greiß, Bildungstheoretisch begründetes Modell für das Planen von Bildungsprozessen, dem das nachstehende Flussdiagramm entnommen ist.)
(Achtung! Die Reihenfolge, in der die Planungsmomente hier aufgeführt sind, sollte keineswegs als schematische Empfehlung verstanden werden! Siehe: G. D. Greiß, Bildungstheoretisch begründetes Modell für das Planen von Bildungsprozessen.)
Anmerkungen:
[1]Heinrich Roth:
Pädagogische Anthropologie.
Band I: Bildsamkeit und Bestimmung. Hannover: Schroedel, (1966) 4.
Aufl. 1976.
Band II: Entwicklung und Erziehung. Grundlagen einer
Entwicklungspädagogik. Hannover: Schroedel, (1971) 2. Aufl.
1976.
Heinrich Roth: Pädagogische Psychologie des Lehrens
und Lernens. Hannover: Schroedel, (1957) 12. Aufl.
1970.
[2] Hans Aebli:
Psychologische Didaktik. Stuttgart: Klett, (1951/1962)
1976.
Hans Aebli: Zwölf Grundformen des Lehrens.
Stuttgart: Klett-Cotta, (1983) 1985.
Hans Aebli: Grundlagen des Lehrens. Stuttgart:
Klett-Cotta, 1987.
[3] Siehe:
Wagenschein, Martin: Verstehen lehren. Weinheim
und Berlin: Beltz, 1968.
Heinrich Roth, Pädagogische Psychologie des Lehrens
und Lernens. 12. Aufl. Hannover: Schroedel, (1957)
1970.
Klafki, Wolfgang: Die bildungstheoretische Didaktik im
Rahmen kritisch-konstruktiver Erziehungswissenschaft.
Oder: Zur Neufassung der Didaktischen Analyse. In: Gudjons, Herbert
/ Winkel, Rainer (Hrsg.): Didaktische Theorien. 9. Aufl. Hamburg:
Bergmann + Helbig, (1980) 1997. S. 13-34.
Kessen, William: Unterrichtsstrategie. In:
Jerome S. Bruner (Hrsg.): Lernen, Motivation und Curriculum
("Learning About Learning - A Conference Report'). Frankfurt
am Main: Athenäum Fischer, 1974. S. 107-113.
"Die Systematik der Schulfächer entfernt sich [...]
normalerweise weit von den Ideen und Eingebungen der Männer,
die das Wissensgebiet ins Leben gerufen haben. Das lernende Kind
muß nun nichts weniger tun als diesen Schöpfungsakt
nachzuvollziehen. Es braucht die Freiheit, sein Wissen in der ihm
gemäßen Art aufzubauen, wenn es sich den Lernstoff aktiv
aneignen und verfügbar machen soll. [...] Immer sollte es [das
Kind] so weit wie möglich seine eigene Verbindungslinie
zwischen Problem und Lösung ziehen können. Der
vorbildliche Lehrer gibt den herrischen Anspruch des Stoffes auf,
um originelle und selbständige Gedanken zu wecken und das Kind
von seinem Wunsch nach müheloser Klarheit zu befreien. [...]
Die Aufgabe des Lehrers - und sie macht seinen Beruf zum
schwierigsten aller Berufe - ist es, dem Kind Möglichkeiten
aktiven Wissenserwerbs zur Verfügung zu stellen."
[4] Wenn wir danach fragen, was gelernt werden soll / wird / worden ist, würden Antworten zu kurz greifen, die sich nur auf den thematisierten Lerngegenstand bezögen. Immer wird auch mitgelernt, wie dieser Lerngegenstand thematisiert und erschlossen wird; immer werden somit auch lerngegenstandsspezifische, aber auch lerngegenstandsunabhängige Motive und Methoden mitgelernt, und zwar in einem für das Lernen günstigen oder ungünstigen Sinne. Diesen Sachverhalt gilt es bei der Planung, bei der Durchführung und bei der Auswertung des Unterrichts kritisch mitzubedenken.
[5]Klafki, Wolfgang: Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Beiträge zur kritisch-konstruktiven Didaktik. 5. Aufl. Weinheim / Basel: Beltz, 1996. Zweite Studie: Grundzüge eines neuen Allgemeinbildungskonzepts. Im Zentrum: Epochaltypische Schlüsselprobleme. S. 43-82.
[6] Siehe Klafki, Wolfgang: Didaktische Analyse als Kern der Unterrichtsvorbereitung. In: Roth, Heinrich / Blumenthal, Alfred (Hrsg.): Didaktische Analyse. S. 5-34. 3. Auflage. Hannover: Schroedel, 1962. Bezugsstelle: S. 17-19.
[7]
Siehe Aebli, Hans: Zwölf Grundformen des
Lehrens. Stuttgart: Klett-Cotta, (1983) 1985 (2. Aufl.).
Bezugsstelle: S. 253-258.
[8]
Siehe Wolfgang Klafki: Zum Verhältnis von Didaktik und
Methodik. In: Klafki/Otto/Schulz: Didaktik und Praxis.
Weinheim/Basel: Beltz, 1977. S. 13-40, insbesondere S. 30-32.
[9]
Derrida, Jacques: Die Schrift und die Differenz.
(1967) In: P. Engelmann (Hrsg.): Postmoderne und Dekonstruktion.
Stuttgart 1993. S. 114 f. Siehe Norbert Schneider: Geschichte der
Ästhetik von der Aufklärung bis zur Postmoderne.
Stuttgart: Reclam 1996. S. 252 f.
[10]
Hans Freudenthal: Mathematik als pädagogische
Aufgabe. Band 2. Klett, Stuttgart. 1973, 1. Auflage. S.
379.
[11]
Siehe:
Klafki, Wolfgang: Neue Studien zur Bildungstheorie und
Didaktik. Beiträge zur kritisch-konstruktiven
Didaktik. 5. Aufl. Weinheim / Basel: Beltz, 1996.
Klafki, Wolfgang: Die bildungstheoretische Didaktik im
Rahmen kritisch-konstruktiver Erziehungswissenschaft.
Oder: Zur Neufassung der Didaktischen Analyse. In: Gudjons, Herbert
/ Winkel, Rainer (Hrsg.): Didaktische Theorien. 9. Aufl. Hamburg:
Bergmann + Helbig, (1980) 1997. S. 13-34.
[12]
"Lehr-Lern-Prozeßstruktur, verstanden als variables Konzept
notwendiger oder möglicher Organisations- und Vollzugsformen
des Lernens (einschl. sukzessiver Abfolgen) und entspr. Lehrhilfen,
zugleich als Interaktionsstruktur und Medium sozialer
Lernprozesse." Wolfgang Klafki in:
a) Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik.
Beiträge zur kritisch-konstruktiven Didaktik. 5. Aufl.
Weinheim/ Basel: Beltz, 1996. Zitat: S. 272.
b) Die bildungstheoretische Didaktik im Rahmen
kritisch-konstruktiver Erziehungswissenschaft. Oder: Zur Neufassung
der Didaktischen Analyse. In: Gudjons, Herbert / Winkel, Rainer
(Hrsg.): Didaktische Theorien. 9. Aufl. Hamburg: Bergmann + Helbig,
(1980) 1997. S. 13-34. Zitat: S. 18.
[13]
Die Option "exemplarischer Unterricht" vs.
"informierender/orientierender Unterricht" möge im Sinne
Heinrich Roths verstanden werden: Heinrich Roth,
Pädagogische Psychologie des Lehrens und Lernens. 12.
Aufl. Hannover: Schroedel, (1957) 1970. Kapitel "Orientierendes und
exemplarisches Lehren" (S. 169 ff.).Sowohl nach Roths Auffassung
als auch nach der Wagenscheins (Wagenschein, Martin:
Verstehen lehren. Weinheim und Berlin: Beltz, 1968)
versteht sich "exemplarischer" Unterricht immer auch als
"genetischer" Unterricht und kann auch
informierender/orientierender (darbietender) Unterricht am
genetischen Prinzip orientiert sein.
[14]
Siehe Anmerkung 4.
[15]
Siehe die vorige Anmerkung.
[16]
Siehe:
Hans Aebli: Zwölf Grundformen des Lehrens. Eine Allgemeine Didaktik auf psychologischer Grundlage. Stuttgart: Klett-Cotta, (1983) 1985.
Heinrich Roth, Pädagogische Psychologie des Lehrens und Lernens. 12. Aufl. Hannover: Schroedel, 1970. S. 208 ff.