Gerhart Dieter Greiß
Ausbildungsleiter am Studienseminar in Korbach
Zur Frage der Ausführlichkeit eines schriftlichen Unterrichtsentwurfs
- Der Zweck von Unterricht ist die Initiierung,
Stützung und Sicherung von Bildungsprozessen in einem curricularen Zusammenhang.
- Zur gründlichen Vorbereitung von Unterricht gehört daher die
Klärung (einschließlich der Sinn-Klärung) seiner
* Inhalte,
* Ziele,
* Verfahren und
* Mittel.
- Jeder Unterricht muss gründlich vorbereitet werden.
(Professionelle Verantwortung, pädagogisches Ethos, verordnete Dienstpflicht
für Lehrer.)
- Lehramtsreferendare müssen ihre Unterrichtsvorbereitung schriftlich
dokumentieren (schriftliche Unterrichtsentwürfe anfertigen).
- Der Grad der Ausführlichkeit dieser Dokumentation wird je nach
didaktischem Stellenwert der Unterrichtseinheit (oder eines ihrer
Teile), je nach didaktischer oder unterrichtsmethodischer
Problemhaltigkeit und je nach Neuigkeitsgrad und Gewicht hinsichtlich
des Ausbildungsprozesses des Lehramtsreferendars schwanken. Das
bedeutet, anders ausgedrückt: Der schriftliche Unterrichtsentwurf muss
konsequenterweise umso ausführlicher sein, je größer der didaktische
Stellenwert oder die Problemhaltigkeit der Unterrichtseinheit (oder
eines ihrer Teile) ist und je höher ihr Neuigkeitsgrad oder
Gewicht im Ausbildungsprozess des Lehramtsreferendars ist.
- a) Dass Texte der Gattung "ausführlicher schriftlicher
Unterrichtsentwurf" (didaktische Ausarbeitung) selbst in Lehrerkreisen
kaum produziert werden, ist kein hinreichender Beleg für den Verdacht,
dass diese Textgattung als Komponente der Lehrerbildung überflüssig
wäre.
b) Aus der Tatsache, dass didaktische Ausarbeitungen nicht leicht von
der Hand gehen, kann nicht die Konsequenz gezogen werden, dass sie zu
verfassen dem Berufsanfänger nicht oder nur bescheiden zugemutet werden
sollte.
c) Aus der Erfahrung, dass manche schriftliche Unterrichtsentwürfe in
Gänze oder in Teilen von fremden Quellen übernommen sind oder
originalitätsarme, formalistisch erfüllte Pflichtübungen sind und einen
oft mit einer detaillistischen Vorabbeschreibung des Unterrichtsablaufs
kaschierten Mangel an didaktischen Kernaussagen aufweisen, kann nicht
geschlossen werden, dass die an die Abfassung einer didaktischen
Ausarbeitung geknüpfte Aufgabe sinnlos sei, sondern nur, dass die
Verfasser in der theoretischen Grundlegung und Kontrolle ihrer Praxis
noch nicht weit genug fortgeschritten sind.
Nach meiner ausbildungsdidaktischen Grundüberzeugung lernt man Untericht zu planen
weder durch Ausfüllen schematischer Vorlagen noch durch sprachliche Anlehnung an einen
Katalog von Vorformuliertem, sondern durch eigenständige Auseinandersetzung mit der
aktuellen Unterrichtsaufgabe.
Die Aufgabe, didaktische Ausarbeitungen anzufertigen, soll und kann
den Lehramtsanwärter veranlassen, in der theoretischen Grundlegung und
Kontrolle seiner Praxis voranzukommen, und ist daher eine wesentliche
Komponente der Lehrerbildung, deren Anspruch sich der
Lehramtsreferendar auf steigendem Niveau stellen sollte. Daher
unterliegt die pädagogische, fachliche und didaktische Substanz der
Unterrichtsentwürfe in der zweiten Hälfte der Intensivphase der
Pädagogischen Ausbildung erhöhten und weiter wachsenden Anforderungen,
und es empfiehlt sich auch im Hinblick auf die Beurteilung des
Ausbildungsstandes, den Ausbildern die Zunahme an professioneller
Kompetenz deutlich zu machen. Das kann kaum gelingen, wenn man die
Ausbilder Unterricht von geringem Anspruch oder mit gleichbleibendem
Muster besuchen lässt und/oder ihnen lediglich eine Planungsskizze oder
gar nur eine "kurze Verlaufsplanung"
vorlegt.
Von planungspraktischen
Anfängern (denen man sich im zweiten Jahr des Vorbereitungsdienstes nicht mehr
zurechnen kann) erwarte ich nicht mehr, aber auch nicht weniger als
* eine Übersicht über die thematischen Schwerpunkte der
Unterrichtseinheit, zu der die besuchte Stunde gehört,
* eine möglichst genaue Angabe der Qualifikationen, die die Schüler durch
diesen Unterricht erwerben, weiterentwickeln oder sichern sollen, und
* eine Übersicht über die Unterrichtsschritte.
- Hätten wir ein Bildungssystem und ein schulpädagogisches Grundverständnis, nach dem
die Planungsaufgabe der Lehrer allein darin besteht, detaillierte curriculare
Vorschriften der Kultusbürokratie in konkrete Unterrichtshandlungen umzusetzen, dann
läge der Fokus der Lehrerausbildung auf der handwerklichen Qualität einer
vorschriftsmäßigen Festlegung und
Duchführung von Unterrichtsschritten. Nun haben wir aber (gottlob) weder ein solches
Bildungssystem noch ein solches schlichtes schulpädagogisches Grundverständnis. Zur
professionellen Qualität des Lehrers gehört die erziehungs-, gesellschafts- und
fachwissenschaftlich orientierte didaktische Analyse der
Lehrplan-Inhalte (als kritisch-konstruktive Ermittlung des Werts dieser Inhalte für
die Bildung der eigenen Schüler) und die den Ergebnissen dieser didaktischen Analyse
adäquate Konstruktion des unterrichtsmethodischen Konzepts. Die
Lehrerbildung muss auf denjenigen Bereich des Planens von Unterricht konzentriert
sein, der die höchsten Ansprüche an die geistige Leistung des Planenden stellt und
dessen Klärung sinngebend ist für alle anderen Planungsentscheidungen:
* die Klärung
der Sache, um die es im Unterricht gehen soll,
* die Klärung, inwiefern diese Sache
Bedeutung für die Bildung der Schüler hat und haben wird,
* die Klärung, in welcher Fokussierung, welchem Zuschnitt,
welcher Modellierung (in welcher didaktischen Reduktion), welcher Schrittfolge
die Sache für die Schüler
spannend (zum Thema) und zugänglich (erschließbar) und das an ihr Gelernte
nachhaltig zum geistigen Besitz werden kann, und
* die Klärung der pädagogischen Absichten, die an eine Thematisierung und Erschließung
der Sache geknüpft werden oder auf die die thematische Entscheidung gegründet worden ist.
Über die Fragen der Unterrichtsmethodik (Verfahren und Formen) und der
Mittler kann
sinnvoll nur auf einer derartigen didaktischen Grundlegung entschieden werden.
Oft scheint aber die Unterrichtsplanung auf das Funktionieren der Realisierung einer
unterrichtsmethodischen Idee
oder des Einsatzes eines Unterrichtsmittels konzentriert zu sein, unter Ausblendung der Frage
nach
dem Sinn dessen, das da funktionieren soll. Das sei dem didaktischen Anfänger durchaus zu
einem gewissen Grade zugestanden, nicht aber dem in der Pädagogischen Ausbildung
fortgeschrittenen Lehramtsreferendar.
Ich fasse zusammen.
Unterricht ist in jedem Falle, auch wenn er nicht von
Außenstehenden
besucht wird, sorgfältig vorzubereiten, und Lehramtsreferendare sind
darüber hinaus ohnehin verpflichtet, schriftliche Entwürfe zu ihrem
gesamten Unterricht anzufertigen, und selbst wenn sie dazu nicht
verpflichtet wären, sollten sie sie aus ausbildungsdidaktischen Gründen
anfertigen und den Ausbildern als einen Beleg für den Fortschritt ihrer
didaktischen Kompetenz zur (Mit-)Beurteilung vorlegen. Didaktische Kompetenz
kann und soll sich implizit auch in einer didaktisch grundgelegten Verlaufsplanung
zeigen;
aber, sei sie nun kurz oder lang, die bloße Vorabbeschreibung des geplanten
Unterrichtsablaufs hat, da der Leser dieser Beschreibung ja zugleich auch Besucher
des Unterrichts ist, keinen nennenswerten Informationswert. Didaktische
(Planungs-)Kompetenz ist in einer Explikation der didaktischen Unterrichtsgrundlagen
nachzuweisen.
(Siehe auch:
Zur Frage der Gliederung eines Unterrichtsentwurfs
sowie
Sieben Schritte der Planung von Unterricht.)
Beispiele zur kritischen Begutachtung
Christiane Kruse: Schachbrettaufgabe (große Zahlen; Ermittlung einer exponentiell anwachsenden Zahlenfolge und -reihe; 4.(!) Schuljahr)
Große Zahlen: Vorteilhafte Verwendung von Zehnerpotenz-Vielfachen (5. Schuljahr)
Beispiel für die Vorbereitung des Mathematiklehrers auf einen
Problemlösungsprozess: Den Mittelpunkt eines Kreisbogens finden (8. Schuljahr)
Erweiterung des Zahlenraums bis 1000
Runden